Ich weiß, es klingt anfangs etwas seltsam, dass wir Menschen zwei Gehirne in uns tragen sollen. Vielleicht fragst du dich, wo dieser geheimnisvolle zweite Teil stecken soll. Nun, du musst nicht lange suchen: Beide Teile stecken in deinem Gehirn selbst. Allerdings unterscheiden sich diese beiden Teile in so vielen Dingen, dass es einfacher ist, von zwei Gehirnen zu sprechen.
Logik und Emotion
Die Neurowissenschaften haben in den letzten 20 Jahren so unglaublich viele neue Erkenntnisse über unser Gehirn gesammelt, dass man mittlerweile mehrere Bücherregale damit füllen könnte (in den 90er Jahren hätte ein einziges dickes Buch ausgereicht). Und diese Erkenntnisse sind weitreichend, auch für unser Verständnis von Verhalten, Motivation und dergleichen. Falls du also gedacht hast, dass da nur Altzheimer erforscht wird: Näääd (das ist der Klang des neurowissenschaftlichen „Falsch-gedacht-Buttons“)!
Eine der wichtigsten Entdeckungen ist freilich der evolutionsbiologische Aufbau unseres Gehirns. Dieser kann grob eingeteilt werden in einen älteren, emotionalen Teil und einen neueren, logischen Teil. Der ältere Teil wird „limbisches System“ oder Reptiliengehirn genannt, der neuere heißt Neocortex. Während jedes höher entwickelte Tier über ein limbisches System verfügt, haben nur wir Menschen einen ausgeprägten Neocortex.
Aufgabenverteilung im Gehirn
Das limbische System (als älterer Teil) übernimmt alle lebenswichtigen Aufgaben und ist sehr eng mit dem Körper verbunden. Es steuert den Körper in erster Linie. Daher können wir z.B. auch so viel aus der Körpersprache eines Menschen herauslesen. Das limbische System sagt immer die Wahrheit, wie Joe Navarro in „Menschen lesen“ erklärt. Es reagiert möglichst schnell auf die Umwelt. In Gefahrensituationen z.B. arbeitet vorwiegend unser limbisches System. Der Neocortex hat in diesen Situationen kaum Einfluss. Wäre auch blöd, wenn ein Zombie um die Ecke gesprungen kommt und du erst mal darüber nachdenken musst, in welche Richtung du am besten ausweichen solltest.
Komplexere Aufgaben, wie Planungen und Schlussfolgerungen (und natürlich das Lügen) übernimmt hingegen der Neocortex. Dieser denkt in Zusammenhängen bzw. Systemen und ist vorwiegend dann aktiv, wenn wir bewusst nachdenken. Lustigerweise halten wir uns immer für unglaublich logische Wesen, die vorwiegend rationale Entscheidungen treffen. Wir sind überzeugt, unser Neocortex hat die Kontrolle. Näääd! Dieser lästige neurowissenschaftliche „Falsch-gedacht-Button“…
Schön wäre es, aber das logische Wissen reicht meistens aus, um die eigenen Ziele zu erreichen. Fehlt dir das Wissen, um fit zu werden? Ich glaube nicht. Weißt du wie früh aufstehen geht? Die Theorie sicher. Weißt du, dass du keine Angst vor einem Referat haben müsstest? Ich denke ja.
Also wo liegt das Problem? Genau, beim emotionalen Gehirn. Denn dieses steuert dein Verhalten und ist auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Deinem emotionalen Gehirn nach ist eine Tafel Schokolade ein Erfolg; ein Waschbrettbauch hingegen ist zu langfristig gedacht und daher nur für das logische Gehirn ein Erfolg. Jetzt stellt sich nur die Frage, ob sich der emotionale Teil von dem langfristigen Ziel überzeugen lässt.
Das Drama der Motivation
Auftritt logisches Hirn und emotionales Hirn.
Logisches Hirn: „Komm lass uns raus gehen und eine Runde Laufen. Das wird toll!“
Emotionales Hirn: „Besser als hier mit Bett und Pizza?“
Logisches Hirn: „Klar, wir werden schwitzen und keuchen. Und es wird weh tun, ohja. Aber wenn wir das oft genug machen, dann sind wir bald fit!“
Emotionales Hirn: „Keine Ahnung, wie es sich anfühlt fit zu sein, aber der Rest klingt scheiße. Geh weg.“
Das emotionale Hirn übernimmt die Kontrolle und lässt den Körper weiter im Bett kugeln und Pizza essen. Das logische Hirn ist unzufrieden und beschimpft es als verantwortungslos und faul. Beide hassen sich, gründen Familien (die sich auch hassen) und ihre Kinder vergiften sich selbst. Ende erster Akt.
Mit dem emotionalen Gehirn arbeiten
Der klassische Weg das emotionale Gehirn zum Handeln zu überzeugen ist meist sehr simpel. Wir zwingen es solange, bis es zu weinen beginnt und beschimpfen es dann noch. Aber funktioniert das eigentlich? Näääd!
Es wirkt anfangs so, als würde dieses „Überfahren“ des emotionalen Gehirns funktionieren, aber sehr bald geht uns die Puste aus und wir fühlen uns mies. Dann fangen wir an uns selbst zu hassen, weil wir so faul, undiszipliniert und schwach sind. Das hilft uns leider meist recht wenig. Immerhin funktioniert unser emotionales Gehirn wie ein kleines Kind (was kein Wunder ist, denn in unseren ersten Jahren ist der logische Teil noch sehr unterentwickelt).
Auch wenn ein kleines Kind nur seinen Gefühlen und Spaß hinterherjagd, kann es doch zu längerfristigen Zielen gelenkt werden. Aber nicht über Logik und Sprache. Das sind die Werkzeuge des Neocortex – mit denen kann dein limbisches System nicht wirklich gut. Du musst es ihm anders erklären, mit einer Sprache die es versteht: Emotionen und Handeln.
Deshalb ist es sinnvoll die eigenen Ziel zu visualisieren und sich in die gewünschte Situation hineinzuversetzen. Du solltest deine Ziele nicht nur formulieren, sondern besser „fühlen“. Immerhin wird es sonst schwer dein emotionales Gehirn davon zu überzeugen, dass es noch besser sein könnte, als es bereits ist – vor allem wenn eine Pizza direkt neben dem Bett steht, in dem du gerade liegst.
Der logische Mensch und die Bedeutung
Falls du bisher gedacht hast, dass du ohne Emotionen viel bessere Entscheidungen treffen könntest: Näääd! Schon wieder der neurowissenschaftliche „Falsch-gedacht-Button“…
Wie wir heute wissen, ist es genau umgekehrt. Ohne Emotionen kann dein Gehirn keine sinnvollen Entscheidungen mehr treffen – so richtig gar nicht mehr. Antonio Damasio beschreibt eben diesen Zustand bei seinem Patienten „Elliot“ in dem Buch „Descartes Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn„. Nach der Entfernung eines (ziemlich großen) Gehirntumors bliebt Elliot geistig komplett klar. Sein logisches Denken war in keinster Weise durch die Operation beschädigt worden. Auch sonst waren kaum Veränderungen an seinem Verhalten bemerkbar, außer, dass er unglaublich ruhig blieb.
Das Problem war allerdings, dass er zu ruhig blieb. Da sein emotionales Gehirn bei der Operation beschädigt worden war, stand Elliot der Welt nun emotionslos gegenüber. Damit hatte alles den gleichen Wert. Eine Meeting war ihm genauso wichtig bzw. unwichtig, wie einen neuen Hefter zu kaufen. Selbst die folgenden Streitgespräche mit seiner Frau waren ihm egal, da sie die selbe Bedeutung hatten, wie einen Film zu sehen. Zwar erkannte Elliot die Folgen seiner Handlungen, maß aber auch diesen keinerlei höhere und niedrigere Bedeutung zu.
Damit wird eines klar: Bedeutung und Werte entstehen nicht in unserem logischen Gehirn, sondern in unserem emotionalen Teil. Demnach macht es wenig Sinn sich allein auf die Logik zu verlassen. Du brauchst beide Gehirne im Einklang um zufrienden mit dir und der Welt zu sein.
Bedeutung finden in der modernen Welt
Es scheint fast wie ein Witz. Es geht uns besser denn je und dennoch geht es uns nicht gut. Die meisten von uns kennen weder Hunger, noch Krieg, noch Krankheiten. Trotzdem sind viele Menschen unglücklich und wissen nicht wohin. Unsere beiden Gehirne scheinen ständig im Ungleichgewicht zu sein. Das „Drama der Motivation“ hätte bei mir mittlerweile 162 Staffeln, wenn es je verfilmt werden sollte (was nicht passieren wird, da der Plot sehr einseitig und langweilig ist).
Nun stellt sich aber die Frage, wo dieses Ungleichgewicht herkommt. Warum können sich unsere beiden Gehirne nicht einfach vertragen?
Update für dein Unterbewusstsein
Unsere beiden Gehirne sind zusammen ohne Zweifel ein unglaublicher Apparat, der auf beeindruckend schnelle Art lernen und erschaffen kann. Leider ist seine Grundprogrammierung nicht mehr Up to date. Unser Betriebssystem wurde das letzte Mal vor 10.000 Jahren geupdated und bis Unterbewusstsein 4.2 erscheint müssen wir noch etwas warten. Also sollten wir mit dem Gehirn arbeiten, das wir haben (es auszutauschen wird immerhin sehr schwierig werden).
Unser Gehirn, wie auch unser Körper, verfügt über eine Vielzahl effektiver Überlebensprogramme. Von Angst über Schweiß bis zu unserem Immunsystem – alles ist darauf ausgelegt unser Überleben zu sichern. Das ist auch gut so. Leider sind viele dieser Systeme heute mehr ein Hindernis als eine Hilfe. Unsere Welt hat sich so radikal verändert, dass unsere Überlebenssystem verrückt spielen. Das gilt für unseren Körper, wie für unseren Geist.
Eine Allergie des Lebens
Vergleichbar ist das Ganze mit einer Allergie: Dein Immunsystem ist dermaßen unterfordert, dass es außer Kontrolle gerät und alles angreift, dass deinen Körper berührt. Statt dein Überleben zu sichern, macht dir dein Immunsystem jetzt eine laufende Nase und geschwollene Augen, nur weil irgendwo ein Baum blüht. Tja, eine klassische Überreaktion würde ich sagen. Lustiger weise macht dein Gehirn genau den selben Scheiß, nur merkst du es nicht so stark. Es sucht ständig nach Bedrohungen und versucht zu Überleben. Gierig saugt es alle Bedrohungen aus der Zeitung auf, tauscht sich mit anderen über den nahenden Terrorismus aus oder versucht immer mehr und mehr Eigentum anzuhäufen.
Das Problem ist, dass ein Großteil der Überlebenssysteme in unserer westlichen Welt nicht mehr notwendig sind. Aggression dient z.B. dazu, dass du in der Gruppe nicht untergehst, wenn alle sich auf das Essen stürzen. Heute aber kriegen wir einen Wutanfall, wenn es keine Kipferl beim Bäcker mehr gibt. Wirst du daran sterben? Näääd! Dasselbe gilt für ein kaputtes Handy oder eine Verspätung deines Zuges. Warum geben wir diesen Dingen so viel Bedeutung?
Ganz einfach: Weil jede andere Bedeutung uns langsam verloren geht. Unsere Veranlagung zum Erschaffen und Aufbauen (die einzigen Dinge die uns tatsächlich glücklich machen) wird komlpett durcheinandergebracht. Der eigentliche Sinn unseres Lebens wird uns bereits vorweggenommen, indem wir alles bekommen, was wir zum Leben brauchen. Es ist als würdest du ein bereits durchgespieltes Spiel beginnen. Da gibt es keine Mission mehr zu erfüllen, kein Item mehr zu finden – nichts. Alle deine Pokemon sind bereits auf Level 100. Was machen wir also? Wir suchen uns andere Dinge, die wir aufbauen können: Ein Computerspiel, eine Sammlung oder Geld.
Baue etwas auf
Ein Ausweg aus der Krise ist der Aufbau von irgendwas. Ich für meinen Teil habe mich (neben Computerspielen – ich geb’s ja zu) für BasicTools und mein Lerncoaching entschieden. Und ja, es ist großartig etwas aus eigener Kraft aufzubauen. Dabei muss es keine Internetseite sein. Du kannst alles mögliche beginnen – eine Fähigkeit, ein Sport oder Wissen. Probier einfach aus was zu dir passt.
Leroy Jethro Gibbs aus der Serie „Navy CIS“ baut z.B. ständig an seinem Boot im Keller. Und ich hab mich immer gefragt, warum der das macht. Bis ich draufgekomen bin, wie schön es ist etwas zu erschaffen. Es steckt so tief in uns, dass wir gar nicht anders können. Und trotzdem kaufen wir uns lieber einen Haufen Fertigprodukte, die wir dann eh nicht brauchen, weil es uns das Gefühl gibt etwas geschafft zu haben.
Auch wenn es zu Beginn etwas beängstigend klingt, ein Computerspiel oder eine Serie wird dich letztendlich nicht glücklich machen. Auch wenn du allerhand „Erfolge“ freischalten und abgeschlossene Folgen sammeln kannst. Das ist nur virtueller Ersatz für den wirklichen Aufbau einer Sache. Natürlich braucht die Wirklichkeit länger, aber sie kann dafür auch mehr.
Auswuchernde Ängste
Doch es gibt noch ein Überlebensprogramm deines emotionalen Gehirns, das heutzutage Amok läuft: Die Angst. Wir fürchten uns fast täglich davor in der Öffentlichkeit angegriffen zu werden. Dabei leben wir rein statistisch gesehen in der sichersten Zeit überhaupt. Völlig unberechtigt ist die Angst freilich nicht. Ich wurde auch schon angegangen, ohne einen erkennbaren Grund. Trotzdem hat mir die Angst davor mehr geschadet, als ein paar Schläge, die ich bereits am nächsten Tag nicht mehr gespürt habe. Ähnliches gilt auch im großen Stil: Es kamen nach dem 11. September mehr Menschen auf den Straßen der USA um, als bei den Anschlägen selbst. Dennoch fuhren viele Menschen lieber mit dem Auto, weil es sich für sie sicherer anfühlte und trieben dadurch die Unfallstoten noch weiter in die Höhe.
Aber genug der logischen Argumente, deinem Gehirn sind sie ohnehin scheißegal. Angst entsteht (du hast es bereits vermutet) im limbischen System, auf den dein logisches Denken ja kaum Einfluss hat.
Anerkennung der Angst
Wie bereits erwähnt ist dein limbisches System ist wie ein kleines Kind. Es mag Schokolade und süße Kätzchen. Gleichzeitig hasst es Regeln und andere Kinder, die sein Spielzeug klauen. Erkennst du dich darin wieder? Ich auf jeden Fall! Nur das Spielzeug hat sich verändert… ach was, selbst das ist eigentlich gleich geblieben. Ich könnte eigentlich auch ein Kaffee trinkender 5-Jähriger sein (werde ich genau so in meine nächste Bewerbung schreiben).
Dennoch entwicklen wir uns weiter. Selbst ich würde meinem Bruder nicht mehr auf die Nase hauen, damit er mir sein Matchbox-Auto gibt. Immerhin habe ich gelernt, dass er stärker ist als ich – also erwartet mein Gehirn mehr Nachteile als Vorteile, wenn ich das tue. Erkennt dies auch mein emotionales Gehirn, sind beide Teile sich einig und ich werde mir eine andere Strategie überlegen. Protestiert der emotionale Teil unseres Gehirns hingegen, dann geraten wir in einen inneren Konflikt: Der logische Teil versucht den emotionalen Teil zu übertrumpfen und umgekehrt. Es herrscht Gehirn-Bürgerkrieg, der (wie jeder andere Krieg) keine Grenzen kennt. Das logische Gehirn maßregelt, während das emotionale impulsive Handlungen setzt oder generell verweigert.
Wenn du also deinem emotionalen Gehirn signalisierst, dass du seine Bedenken wahrgenommen hast und dankbar für seine Unterstützung bist, lässt es sich bald von deiner Anerkennung überzeugen. Wie ein kleines Kind, das gerade hingefallen ist, wartet es auf deine Reaktion um abzuschätzen, ob es weinen soll oder nicht. Wenn du völlig austickst, wir es ebenso austicken. Also beschimpf es nicht unnötig, sondern sein froh, dass es auf dich aufpasst (selbst wenn es oft daneben liegt).
Oft reicht es schon aus, die eigenen Ängste zu akzeptieren und nicht ständig dagegen anzukämpfen – gilt überigens für die meisten negativen Emotionen. Immerhin existieren diese ja nicht grundlos. Sie sind zur Zeit bloß etwas unterbeschäftigt. Also vertrag dich mit deinem emotionalen Gehirn, es gewinnt sowieso…
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[…] so funktioniert es nicht. Immerhin hast du eine Sache erst dann wirklich verstanden, wenn dein emotionales Gehirn sie verstanden hat. Dein logisches Gehirn versteht schnell, das ist nicht die Kunst. Bei einem Horrorfilm weiß dein […]
[…] der Meditation geht es darum eines der Basics zu lernen: Das Beobachten. Obwohl du grob genommen zwei Gehirne (ein emotionales und ein logisches) in deinem Kopf hast, bist du weder das eine noch das andere. Damit du dir dessen bewusst wirst, […]